Amerika 1997
Der Tag X kam und es war alles organisiert. Der Flug war gebucht und ich hatte die vorderste Sitzreihe inne. Der RV war auch für drei Monate gebucht sowie das Hotel in Los Angeles, direkt am Strand von Santa Monica. Herrlich, es konnte losgehen, ich war bereit.
Die erste Knacknuss war der Transfer ins Flugzeug. Da die Gänge zu eng sind, um mit meinem Rollstuhl hinein zu fahren, musste ich vor dem Flugzeug auf einen schmalen Sitz transferiert werden, der wie eine Schubkarre aussieht. Da ich keine Stabilität im Rumpf habe, war dies sehr unangenehm, um nicht zu sagen ein absoluter Horror für mich. Da musste ich halt einfach durch und dieses Prozedere über mich ergehen lassen. Sonst hätte ich Amerika vergessen können – dieses Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Doch ohne Schaden genommen zu haben, sass ich bald im Flugzeug auf meinem Sitzkissen und hatte auch einen Schaumstoff in meinem Rücken. Da ich mehr als 12 Stunden im Flugzeug sitzen würde, hatte ich auch einen Blutverdünner eingenommen, damit sich kein Blutpfropfen bilden konnte; so konnte nichts passieren. Ich hatte alle Unsicherheiten auf ein Minimum reduziert, mehr konnte ich nicht mehr machen. Jetzt musste ich einfach auf mein Karma vertrauen.
Der Flug ging gut, soweit ich dies beurteilen konnte. Wie gut, sahen wir dann am Abend bei der täglichen Hautkontrolle.
Ich war ca. 20 h sitzend unterwegs – vier Stunden Fahrt zum Flughafen, einchecken, warten aufs Einsteigen, zwölf Stunden Flug und weitere vier Stunden fürs Auschecken und die Fahrt zum Hotel. Dies war schon sehr lange für mich.
Der grosse Moment kam und ich war schon sehr gespannt auf das Resultat. Ich hatte eine Geschwulst an meinem Gesäss. Die musste zuerst abheilen bevor es weitergehen konnte. Ich verschrieb mir strikte Bettruhe und blieb konsequent in der Seitenlage und alle zwei bis drei Stunden wurde ich auf die andere Seite gedreht. So lag kein Druck auf der Schwellung und die Haut kriegte genug Sauerstoff.
Die Blessur heilte gut ab und nach drei Tagen konnten wir das Prozedere lockern. Ich durfte wieder aufstehen, zuerst nur eine Stunde, dann immer länger.
Wenn ich so liegen muss, kommt natürlich schon der eine oder andere negative Gedanke hoch und ich hatte Angst, dass die Reise schon vorbei war, bevor sie angefangen hatte.
Von Los Angeles habe ich wegen meiner Druckstelle nicht viel gesehen, aber Städte waren sowieso nicht so mein Ding. Ich freute mich auf die Nationalparks und von denen gibt es sehr viele an der Westküste.
So kam der Tag des Weiterreisens. Wir nahmen unser Wohnmobil in Empfang und die Reise ging los. Der Winnibago, den wir Winni tauften, war etwas vom Besten was ich je auf dem Wohnmobilmarkt gesehen habe.
Ich konnte über einen Rollstuhllift in den Bauch des RV gelangen. Während den Fahrten sass ich als Beifahrer vorne in meinen Rollstuhl. Meine Begleiter konnten ihn nämlich mit Hilfe eines Rätschen- Systems dort vorne befestigen. Was für ein Rundumblick, einfach umwerfend! Ich war sehr begeistert von Winni und konnte es kaum erwarten, bis es endlich losging.Die erste Fahrt dauerte nur drei Stunden, obwohl ich noch ewig hätte weiterfahren können. Ich fühlte mich vom ersten Moment an rundum wohl in dem Wohnmobil. Der erste Stellplatz war in einem Staatspark, diese werden von den Staaten unterhalten, im Gegensatz zu den Nationalparks, die von den USA unterhalten werden.
Ich fühlte mich so toll – endlich frei von negativen Gedanken und Gefühlen, da ich wusste, dass diese Reise mir weitere Horizonte öffnen wird.
Beim Big Sandy Campingplatz waren wir die Einzigen. Mit unserem Elfmeter Wohnmobil war es sehr gefährlich diesen Campingplatz aufzusuchen, denn dieser war sehr abgelegen und nur auf einer schmalen Strasse aus Sand und Steinen erreichbar. Wenden konnten wir nicht mehr, denn wir hatten knapp mit unserem Wohnmobil Platz. Zum Teil mussten wir so knapp am Abgrund fahren, dass ich nicht mehr hinschauen konnte. Als wir nach einer endlosen Zeit endlich am Campingplatz ankamen, schüttelte der Ranger nur den Kopf. Wir konnten uns einen Platz aussuchen. Das Problem war nur, dass der RV einigermassen gerade stehen musste. Als wir alles aufgestellt hatten, machten wir noch ein Feuer, um uns aufzuwärmen.
Da Big Sandy etwa auf einer Höhe von 2000 m ist, überkam mich schnell ein Frösteln, sogar am Feuer. Die Nacht kühlte danach sehr stark ab, meinem Empfinden nach war es um 5 °C – und dies nur mit Wolldecken. Es war das Abenteuer, das wir alle gesucht hatten. Für solche Strassenverhältnisse war aber Winni nicht geeignet. Wir hielten uns deshalb in der Folge an Nationalparks und an KOA‘s auf (Campground of Amerika), die auch auf Riesenfahrzeuge ausgerichtet waren.
Wir fuhren alle Nationalparks die auf dem Weg lagen ab (Sequoia, Yosemite und den Kingscanyon). Danach fuhren wir natürlich noch durch San Francisco über die Golden Gate Bridge, um unser nächstes Ziel zu erreichen. Was heisst hier Ziel? Der Highway Nr. One, der von San Diego bis an die kanadische Grenze der Westküste entlang schlängelt, war so spektakulär, dass mir oft fast die Luft wegblieb vor lauter Bewunderung über die Wunder der Natur. Nach einer Teilstrecke von etwa 100 km verliessen wir den Highway, um zum Redwood Nationalpark zu gelangen. Dort bestaunten wir die höchsten Bäume der Welt. Diese gehören auch zur Familie der Sequoia Mammutbäume.
Nach diesem Abstecher fuhren wir auf der H1, bis zum nächsten Halt. Mit einem Lift fuhren wir in eine unterirdische Höhle, wo wir eine Seehunde-Kolonie antrafen. Naturforscher studierten hier das Verhalten der Tiere.
Es ging weiter zum nächsten Höhepunkt, dem Mt. St. Helen, einem Vulkan, der 1980 ausgebrochen war und eine riesige Zerstörung verursacht hatte. Er ist auch heute noch aktiv.
Als wir die Strasse hinauffuhren, wurden wir Zeuge von der enormen Naturgewalt, die hier freigesetzt worden war. Die Bäume lagen alle bergwärts, also gegen den Vulkan.
Die unbeschreibliche Energie, die dieser Berg freisetzte, faszinierte und schockierte mich gleichzeitig. Der Mensch handelt unglaublich zerstörerisch und ausbeutend, aber die Natur kann mit einer unvorstellbaren Kraft zurückschlagen.
Die Natur regeneriert sich wieder, wie ich sehr glücklich erfahren konnte, beim überwältigenden Mt. St. Helen. Ein paar Jahre nach dem Ausbruch fand man wieder Einzeller in einem kleinen See, der vom Schnee des Berges gespeist wurde. Dies war so faszinierend für mich, dass mir die Angst genommen wurde, der Mensch könne diese Welt auf Ewig vernichten – ich erkannte, er vernichtet sich nur selber.
Glücklich nach dieser Schlussfolgerung, fuhren wir weiter zur kanadischen Grenze.
Wir hatten im Vorfeld schon die Fähre zur Vancouver Island gebucht und diese liess uns knapp vor Prince Rubert von Bord. So hatten wir fünf Tage Zeit, um diese Insel in seiner ganzen Länge zu durchfahren, was doch eine Strecke von ca. 500 km war und dies nur auf Landstrassen. Wir wollten auch Wale beobachten. Man sagte uns, der beste Platz dafür sei in Tofino, was auch wieder 300 Kilometer abseits unserer eigentlichen Reiseroute war – aber dies nahmen wir in Kauf.
Wir buchten zwei ganz verschiedene Wal-Touren. Die erste brachte uns zu den Grauwalen. Um diese zu sehen mussten wir bei starkem Regen sehr weit aufs offene Meer hinaus fahren. Wir wurden belohnt, es war unglaublich. Ich hatte richtig Angst um meinen Bruder, der Anstalten machte, ins Meer zu springen, um mit ihnen zu schwimmen. Diese 15 bis 25 m langen Säugetiere waren ein einmaliges Erlebnis. Da ich noch nie vorher Wale gesehen hatte, war ich überwältigt von der Grösse dieser Tiere. Es waren mehrere Familien, auch mit Jungen, auch diese waren (live gesehen) riesige Säuger. Ich konnte mich fast nicht erholen, aber schon am nächsten Tag ging es weiter und wir bewunderten Killerwale, auch Orkas genannt. Natürlich auch wieder von einem Boot aus, aber dieses Mal in der Nähe der Küste. Es waren auch wieder mehrere Tiere beieinander, zu meiner grossen Überraschung auch wieder Jungtiere. Obwohl mich die Grauwale mehr in den Bann gezogen hatten, war auch dies wieder ein erstaunliches Naturschauspiel.
Ich war sehr glücklich über das Erlebnis und Patrick, mein Bruder, stand mit offenem Mund an der Reling. Dieses Mal musste ich keine Angst haben, dass er hineinspringen wird. Das Gebiss dieser Säugetiere war riesig und glänzte, wenn sie an die Oberfläche kamen. Diese zwei Wal-Touren entschädigten uns für die Regenwoche auf der Insel.
Der nächste Tag verging mit der Überfahrt von der Insel, bis fast an die Grenze zu Alaska. Die Reise fing gar nicht gut an, denn als wir auf das Aussendeck wollten, brach meine Rückenlehne. Da wir eine Kabine gemietet hatten, gelangten wir mit vereinten Kräften dorthin und meine Begleiter legten mich ins Bett, da mein Rollstuhl in der schiffseigenen Werkstatt geschweisst werden sollte. Eilig kamen sie mit einem Ersatzrollstuhl zurück und bestanden darauf, dass ich mich in diesen setze. Also stand ich wieder auf, obwohl es mir gar nicht wohl war in diesem Gefährt. Als ich dann die grandiose Sicht auf die Inseln, Fjorde und Berge geniessen konnte, verstand ich, dass das Herumliegen im Bett keine Alternative gewesen wäre. Und schon eine Stunde später war mein Rollstuhl gefixt. Eigentlich hatten wir enormes Glück, dass dies auf dem Schiff passiert war und nicht irgendwo draussen in der Pampa. So genoss ich auch noch den Sonnenuntergang bequem sitzend. Zum Abschluss von dieser unvergesslichen Fahrt sahen wir einen Film. Da ein Motor ausgefallen war, dauerte die Reise drei Stunden länger, was aber der Schönheit dieser Überfahrt nichts wegnahm.
Am nächsten Tag fuhren wir bis kurz vor den Jasper NP, was fast 1000 km waren. Diesen durchquerten wir am nächsten Tag – wir waren in Kanada, die Natur grüsste von nah und fern. Es war unglaublich, was ich zu sehen bekam. Leider war es ein bisschen zu kalt für mich, um draussen die Natur hautnah zu spüren – und dies obwohl mich ein strahlend blauer Himmel mit einer gut gesinnten Sonne anlächelte. Wenn ich kalt habe, kann ich die Umgebung nicht geniessen. Aus diesem Grund beschloss ich, mich nur beim Mittagessen an einen See zu setzen. Sobald die Sonne schien, ging es besser mit der Kälte. Da ich in meinem Winni eine grandiose Rundsicht hatte, war der Drang auszusteigen nicht sehr gross. Ich sah so viel, denn die Frontscheibe war so riesig, dass ich gemütlich zurückgelehnt das ganze Panorama mit den Schneebergen, Wasserfällen und auch sehr vielen Tieren sah.
Was mich auch faszinierte, war, dass wir unterwegs fast kein Auto antrafen.
In Lake Louis machten wir Halt, um zu übernachten. Am Abend beschlossen wir, noch ein bisschen in die Stadt zu gehen, um dort auch noch etwas zu essen. Wir gingen in ein Schweizer Restaurant, um dort ein Käse Fondue zu essen, es schmeckte soso-lala, aber nach ein paar Kirschwasser wurde es immer besser. Auf dem Nachhauseweg sahen wir noch mehrere Hirsche und Rehe, die den Schutz der Menschen suchten.
Wir waren alle sehr müde. Trotzdem ging die Fahrt am nächsten Tag weiter durch den Banff Nationalpark. Auch dort genossenen wir wieder die unvergleichliche Schönheit der Natur.
Ein Highlight folgte dem nächsten, und endlich machten wir glücklich und erschöpft Halt in Calgary. Dort wollten wir den Olympischen Park anschauen, in dem die Winterspiele 1988 stattgefunden hatten. Die Grenze zu Amerika war kein Problem, das heisst, wir merkten erst, dass wir sie passiert haben mussten, als wir längst in Amerika waren.
Es fing an zu regnen und es wurde auch merklich kühler (Mitte Oktober).
Wir beschlossen so schnell wie möglich Richtung Süden weiterzufahren, natürlich durfte aber der Yellowstone Nationalpark nicht fehlen. Als wir in diesen hineinfuhren, lag überall Schnee und es war auch relativ kalt. Wir hatten Glück, dass er überhaupt noch offen war. Auf den Campingplätzen waren wir die Einzigen, obwohl sie im Sommer stets überfüllt waren. Da ich sehr ungerne kalt habe, schien es mir, dass ich nun ein paar garstige Tage zu überstehen habe.
Aber jedes Mal, wenn ich Winni verliess, erwartete mich ein grandioses Spektakel, trotz Temperaturen unter null Grad. Die Geysire, für die der Yellowstone sehr bekannt ist, sah man schon von weitem. Denn die heissen Quellen dampften und spritzten Fontänen in die Höhe. Als absoluten Höhepunkt empfand ich den Morning Glory Pool, die Farben in diesem Warmwasserbecken waren gigantisch – über Gelb, Orange, Grün, Blau bis ins Türkis, waren alle Farben zu sehen. Es war eine Farbenpracht, wie sie nur die Natur fertig bringt.
Auf dem Rückweg machten wir unsere erste Begegnung mit einem Bison; und plötzlich hatte ich warm. Der Kopf dieses riesigen Bullen war etwa gleich gross, wie ich mitsamt meinem Rollstuhl (meine Wahrnehmung). Wenn er ausatmete, verschwand sein Kopf für kurze Zeit im Nebel. Diese Begegnung machte mir auf der einen Seite Angst, aber auf der anderen faszinierte mich dieses gewaltige Tier. Ich war auf jeden Fall froh, dass diese Begegnung gut verlief. Vielleicht hatte er noch nie einen Rollstuhlfahrer gesehen und mich einfach mal anschauen wollen.
Den nächsten Ausflug machten wir auf einem aus Holzbrettern angelegten Weg, der uns zu weiteren Geysiren brachte, aber leider war es schon am Eindunkeln. Plötzlich hörten wir im Hintergrund Wölfe heulen. Wow, dachte ich mir, dies ist Abenteuer pur. Als das Geheul immer näher kam, wurde es mir dann schon ein bisschen mulmig in der Magengegend. Ich schaute Hansi und Patrick an und merkte sofort, dass es ihnen auch nicht mehr so wohl in ihrer Haut war. Also kehrten wir um und nahmen den Rückweg relativ zügig in Angriff.
Am nächsten Tag gab es auch wieder ein tierisches Erlebnis. Als ich aufstand, war eine Herde Hirschkühe mit ihren Kälbern auf unserem Campingplatz, direkt neben unserem Wohnmobil.
Für uns war es ein tolles Erwachen.
Nach diesem guten Morgen verliessen wir den Yellowstone Nationalpark Richtung Süden. Wir fuhren durch die Badlands und liessen diese karge Mondlandschaft bei angenehmen Temperaturen auf uns wirken. Ich fühlte mich endlich wieder sehr wohl, da die warmen Temperaturen mein Befinden sehr schnell in euphorische Höhen katapultierten. Obwohl die Farbenpracht des Yellowstone NP viel schöner gewesen war, konnte ich die Badlands viel mehr geniessen, da es einfach wärmer war.
Ein Ort kann noch so schön sein, wenn die Temperaturen für mich nicht stimmen, kann ich ihn leider nicht geniessen.
Wir fuhren über eine Autobahn, die den höchsten Punkt auf 3000 m über dem Meer hatte. Als wir langsam den Aufstieg mit unserem Riesending und natürlich mit Sommerreifen darauf, empor
krochen, kam es wie es kommen musste, wir kamen in einen Schneesturm. Innert kürzester Zeit war alles weiss auf der Strasse und die Sichtweite gleich Null. Es waren mehr Schneepflüge als Autos auf der Strasse und natürlich Winni mit seinen Helden mitten drin. Da wir keine Schneeketten hatten, blieb uns nichts anderes übrig als ganz langsam die Strasse hinunter zu schliddern. Nach einer Stunde war der Spuk vorbei und wir waren unendlich erleichtert, wieder festen Boden unter den Rädern zu haben.
Weiter ging es zum Arch NP, wo die Temperaturen wieder sehr angenehm waren. Die Steinbögen, die sich auf dem Colorado Hochplateau erheben, sind durch natürliche Erosion entstanden und waren eine Augenweide.
Wir fuhren weiter durch die Canyonlands. Ich konnte mich fast nicht satt sehen an dem, was die Natur uns bot. Meilenweit führte die Strasse durch Schluchten und Canyons, ich kam mir vor, wie in einem Wildwestfilm, aber eben etwas zeitgemässer mit Wohnmobil, statt mit Pferd und Kutsche. Als wir auf einem Hochplateau eine Pause machten und ich von der Kante eines Canyons zum Colorado River hinunter schauen durfte, war dies so unglaublich für mich, dass mich die Emotionen überwältigten und ich anfing zu weinen.
Diese Reise hat mir bis jetzt unglaubliche Glücksgefühle geschenkt und ich war so dankbar, dies erleben zu dürfen. Es spielte für mich keine Rolle, ob ich jetzt im Rollstuhl sass oder auch nicht, ich ging auf, in den atemberaubenden Naturwundern. Ich überlegte mir, ob ich diesen Moment festhalten und mich einfach über die Klippe stürzen soll, um so den Moment für immer zu verinnerlichen. Im gleichen Moment wusste ich, dass dies nicht mein Weg war, denn der hat mit dieser Reise erst angefangen und ich werde noch sehr viele interessante Reisen unternehmen.
Tief in meinem Innern spürte ich dabei eine riesige Glückseligkeit. Was die Natur einem geben kann, findet man sonst nirgends.
Wir fuhren weiter durch den Capitol Reef, wo ich wieder eine unglaubliche Dankbarkeit für das Gesehene empfand. Wir sahen keinen Menschen weit und breit. Wie können solch wunderschöne Gebiete, mit solch spektakulären Bergformationen so menschenleer sein?
Und schon ging es zum nächsten Höhepunkt. Der Bryce Canyon öffnete uns seine Pforten. Da es unterdessen bald Ende Oktober war, fiel auch hier schon wieder Schnee. Auch auf dem Brice Canyon war eine kleine Zuckerschicht auf den Spitzen. Die orangen Felsformationen waren eingezuckert. Leider war es auch zu kalt für mich, um die ganze Schönheit zu geniessen. Patrick und Hansi, meine beiden unübertrefflichen und wundervollen Reisegefährten, schwärmten aus und waren total begeistert von dem Gesehenen. Da ich überzeugt war, dass ich diesen Canyon in meinem späteren Leben noch einmal sehen werde, war dies nicht so schlimm für mich. Ich genoss die Wärme im Wohnmobil und las in einem Buch.
Am nächsten Tag fuhren wir durch den Zion Nationalpark, der auch wieder riesige Felsformationen aufwies. Da wir nicht durch den Park hindurch fahren durften, weil unser Wohnmobil zu lange war, beschlossen wir, beim Besucherzentrum wieder umzudrehen und weiter Richtung Death Valley zu fahren.
Auf dieses Tal freute ich mich sehr, denn dort war es garantiert schön warm. Der tiefste Punkt in dieser Wüste liegt 86 Meter unter dem Meeresspiegel. Er befindet sich in der Mojave-Wüste und die höchste Temperatur, die gemessen wurde, war 56 Grad Celsius. Patrick und Hansi begaben sich zum tiefsten Punkt. Da dieser nicht (erstaunlicherweise) rollstuhlgängig war, genoss ich die Wärme auf dem Aussichtspunkt. Wir beschlossen nach diesem Trip, uns ein paar Tage Ferien in Las Vegas zu gönnen und logierten in der Pyramide namens Luxor. Da wir unter der Woche angereist waren, konnten wir die Preise bezahlen, denn am Wochenende steigen diese um das Vierfache. Wir nahmen ein Zimmer für drei Personen.
Ich war immer noch wie im Film von all den Erlebnissen und Eindrücken. Mir war das alles viel zu schnell gegangen. Da Patrick und Hansi alles im Griff hatten, musste ich mich zum Glück um nichts kümmern – ich wäre auch überfordert gewesen.
Da ich sehr müde war in meinem Kopf, kam mir dieses Time Out gerade recht.
Die angenehmen Temperaturen bewogen mich, die Zeit mehr oder weniger am Pool zu verbringen und einfach die Zeit zu geniessen und Körper und Seele baumeln zu lassen. Es gelang mir zwar nicht ganz, meinen Kopf genauso zur Ruhe kommen zu lassen, wie meinen Leib. Nach ein paar Tagen fuhren wir über den Hoover Dam weiter zum Grandcanyon.Es durchschoss mich ein Schaudern, als ich die imposanten Felswände und weit unten den Colorado River sah, der sich seit Jahrtausenden unermüdlich und gnadenlos in die Tiefe grub und sich nun scheinbar ruhig und friedlich durch das selbstgeschaffene Tal schlängelte.
Alles ist vergänglich – auch die Zeit – sinnierte ich so vor mich hin – keine Sekunde gleicht der anderen.
Und genau mit diesem Gedanken hielt ein Car mit einer japanischen Reisegruppe darin. Sie stiegen aus, rannten zum Ausblick, machten ein paar Fotos, rannten zurück zum Car und fuhren weiter zum nächsten Höhepunkt ihrer zukünftigen Diashow.
Wir drei standen da und bekamen unsere Münder vor lauter Staunen nicht mehr zu. Wir waren ja schon schnell unterwegs, aber neben diesen Touristen, bewegten wir uns in Slow Motion.
Durch all die Erlebnisse, die ich jeden Tag erfahren durfte und die Betrachtungen, die ich über die Welt, die Menschheit, aber vor allem über mich selber anstellte, lernte ich mich neu kennen – ich erlangte langsam mein neues Ich.
Wir fuhren weiter zum Petrified Forest NP. Versteinerte Bäume, oder genauer farbige, glasartige Holzblöcke säumten unseren Weg und führten uns eindrücklich vor Augen, dass es auch Dinge gibt, die auch nach Jahrmillionen nicht vergehen, sondern sich sogar verdichten.
Für mich war das Goblin Valley einer der interessantesten Orte der ganzen Reise. Ich war sehr beeindruckt von den vielen märchenhaften Gestalten die sich uns in Form von Steinen präsentierten. Von Schneewittchen und den sieben Zwergen, über Golum bis R2D2 – alle waren sie vorhanden. Wir hatten in diesem Valley sehr viel Zeit, auch einen super schönen Campingplatz, wahrscheinlich sogar der schönste der ganzen Reise. Vor einem Felsen, im Schutz der Sonne, spielten wir Karten, wunderbar angenehme Wärme, aber auch ein märchenhafter Platz. Mir ging es richtig gut und ich fühlte mich rundum wohl. Das Schönste war, dass ich wusste, dass es nicht mehr kälter, sondern mit jedem Tag immer wärmer werden würde.
Es ging Schlag auf Schlag weiter, das nächste Highlight war White Sands. Ich kam mir vor wie in einem Skigebiet nach grossem Schneefall, denn alles war weiss. Sogar Bagger hatten sie, die den ganzen Schnee, sorry natürlich Sand, von der Strasse beförderten. Leider ist die Hälfte dieses Naturschauspiels immer noch verseucht – am 16.Juli 1945 wurde dort die erste Atombombe gezündet. Die verheerende Wirkung hinderte die Machthaber nicht daran, knapp drei Wochen später Hiroshima und Nagasaki auszulöschen. Es gibt keine Worte für mein Entsetzen über diesen Test. Wie kann man einen so schönen Flecken Erde vernichten? Dieses Gebiet ist immer noch ein militärisches Sperrgebiet, an gewissen Tagen aber unterdessen zugänglich für die Öffentlichkeit. Der ganze Sand schmolz wegen der grossen Hitze in der nahen Umgebung zu Quarz.
Wir verliessen New Mexiko und fuhren über die Grenze nach Arizona zurück, durch den Saguaro NP. Dieser spezielle Nationalpark trägt den Namen der Kakteengewächse, die bis zu 20 Meter hoch werden können. Was mich aber mehr interessierte als die Kakteen waren die Spinnen, vor allem die Tarantel, auch Wolfspinne genannt. Diese kreuzten immer wieder unseren Weg, viele von ihnen lagen auch überfahren auf der Strasse. Weiter ging es über den Joshua Tree NP, wo der Joshuabaum als größte Art der Gattung der Palmlilien (Yucca) wächst. Auch die kahlen Felsformationen, die wie Steinhaufen aussehen, waren eine markante Sehenswürdigkeit. Da unsere Tage in Amerika gezählt waren, fuhren wir weiter über San Diego nach Los Angeles, um unseren Rückflug nach Zürich anzutreten. Davor mussten wir noch unser Wohnmobil reinigen und abgeben.
Am Abend verabschiedeten wir uns von Amerika mit Chicken Wings, die mir auf dem Heimflug Durchfall verursachten und mich dadurch in ein superpeinliches Intermezzo verstrickten, aus dem mich Hansi und Patrick, meine unvergleichlichen, genialsten Reisebegleiter, erlösten.
Es war eine tolle Reise und meine Leidenschaft fürs Reisen wurde dadurch noch verstärkt. Es waren abenteuerliche, aber vor allem unvergessliche drei Monate, die ich erleben durfte. Wir fuhren 20‘000 km in drei Monaten, die ganze Westküste von Amerika und Kanada hinauf, um in der Mitte des Landes wieder hinunterzufahren. Unsere Hauptziele dieser Reise waren die Nationalparks, die lebenswichtigen Organe dieses wunderschönen Kontinents.
Ich war überglücklich, als ich zu Hause meine Eltern in die Arme nehmen durfte. Auch war ich sehr stolz, denn ich konnte mir einen grossen Traum erfüllen und auch die Angst überwinden, trotz meinem ersten missglückten Flug nach Amerika.
Nach dieser Reise wusste ich, dass noch viele weitere unvergessliche Reisen folgen werden.
diese Erkenntnis beflügelte mich unendlich.
Mein Leben fing an.